Die Ausbildung in der österreichischen Bauwirtschaft
- Vladimir Curkic

- 11. Okt. 2024
- 5 Min. Lesezeit

Herausforderungen und Zukunft der Ausbildung in der Bauwirtschaft in Österreich
Die Bauwirtschaft in Österreich steht vor einer Vielzahl von Herausforderungen. Der Fachkräftemangel, der demografische Wandel und die Digitalisierung sind nur einige der Probleme, die die Branche prägen. Doch die Ausbildung in der Bauwirtschaft ist der Schlüssel, um diesen Herausforderungen zu begegnen und die Zukunft der Branche zu sichern. Wie gut ist das Ausbildungssystem in der Bauwirtschaft heute aufgestellt? Welche Reformen sind nötig, um langfristig eine gut ausgebildete, starke Belegschaft zu sichern? Und wie können praxisnähere Ausbildungswege helfen, die Lücke zwischen Theorie und Praxis zu schließen?
Die aktuelle Situation der Ausbildung in der Bauwirtschaft in Österreich
Die Bauwirtschaft in Österreich bietet eine breite Palette an Ausbildungsmöglichkeiten, von der Lehre über höhere technische Schulen (HTLs) bis hin zu Fachhochschulen und Universitäten. Doch trotz dieser Vielfalt gibt es klare Defizite, insbesondere was die Verbindung von Theorie und Praxis betrifft.
Lehrlingsausbildung im Baugewerbe
Die Lehre im Baugewerbe, beispielsweise als Maurer, Zimmerer oder Bautechniker, spielt eine entscheidende Rolle in der Ausbildung neuer Fachkräfte. Die duale Ausbildung, bei der praktische Erfahrungen im Betrieb mit theoretischem Wissen aus der Berufsschule kombiniert werden, bereitet die Lehrlinge auf die spezifischen Anforderungen der Bauwirtschaft vor. Trotz attraktiver Ausbildungsvergütungen und sicheren Karrierechancen haben viele Jugendliche Vorbehalte gegenüber handwerklichen Berufen im Baugewerbe, was zu einem Rückgang der Lehrlingszahlen führt.
HTLs: Der frühe Berufseinstieg als Schlüssel zum Erfolg
Die Höheren Technischen Lehranstalten (HTLs) sind in Österreich eine einzigartige Bildungsform, die eine technische Ausbildung auf hohem Niveau bietet. Absolventen einer HTL haben nicht nur fundiertes theoretisches Wissen, sondern auch ein hohes Maß an praktischer Erfahrung, da viele Schulen eng mit Betrieben und Bauprojekten kooperieren. Diese Praxisnähe ist ein großes Plus, da Absolventen der HTL nach ihrer Ausbildung sofort in den Arbeitsmarkt einsteigen können.
Tatsächlich könnte der Berufseinstieg nach einer HTL stärker gefördert werden, um den Fachkräftemangel früher zu bekämpfen. Viele HTL-Absolventen ziehen es vor, direkt nach der Schule eine Arbeit im Baugewerbe zu beginnen, anstatt sich für ein anschließendes Studium zu entscheiden. Hier sollte der Fokus verstärkt auf die Förderung dieses direkten Einstiegs gelegt werden, um junge Fachkräfte schneller in die Branche zu integrieren.
Höhere Ausbildungen: Fachhochschulen und Universitäten
Neben der Lehre und den HTLs spielen Fachhochschulen (FHs) und Universitäten eine wichtige Rolle in der Ausbildung der zukünftigen Führungskräfte und Spezialisten der Bauwirtschaft. Bauingenieurwesen, Architektur und Baumanagement gehören zu den beliebtesten Studiengängen. Doch viele Absolventen berichten von einem entscheidenden Problem: Die Ausbildung an Universitäten und Fachhochschulen ist oft zu theoretisch und nicht praxisnah genug.
Studenten verbringen oft Jahre in Hörsälen und mit wissenschaftlichen Arbeiten, ohne die Möglichkeit, praktische Erfahrungen auf Baustellen zu sammeln oder reale Bauprojekte kennenzulernen. Dies führt dazu, dass sie nach ihrem Studium zwar über tiefes theoretisches Wissen verfügen, jedoch oft Schwierigkeiten haben, dieses in der Praxis anzuwenden. Die Bauwirtschaft braucht jedoch Experten, die beide Seiten – Theorie und Praxis – beherrschen.
Herausforderungen für die Ausbildung in der Bauwirtschaft
Die Ausbildung in der Bauwirtschaft steht vor mehreren grundlegenden Herausforderungen, die in den nächsten Jahren bewältigt werden müssen, um den steigenden Anforderungen gerecht zu werden.
1. Fachkräftemangel und demografischer Wandel
Der Fachkräftemangel ist die wohl größte Herausforderung der Bauwirtschaft. Wie bereits in vielen Berichten des Arbeitsmarktservice Österreich (AMS) betont, wird die Zahl der qualifizierten Fachkräfte in den kommenden Jahren weiter sinken, während die Nachfrage nach Bauprojekten steigt. Dies liegt vor allem am demografischen Wandel, da die Generation der Babyboomer in Rente geht und weniger junge Menschen nachkommen.
Der Fachkräftemangel kann zu erheblichen Engpässen führen, wodurch Projekte langsamer realisiert oder Baukosten deutlich höher werden, weil qualifiziertes Personal fehlt. Zudem wird der Wettbewerb um die verbleibenden Fachkräfte immer intensiver, was auch die Löhne nach oben treibt.
2. Digitalisierung und neue Technologien
Die Digitalisierung ist ein weiterer Aspekt, der die Bauwirtschaft stark verändert. Technologien wie Building Information Modeling (BIM), 3D-Druck und Robotik bieten enorme Chancen, die Effizienz und Produktivität auf Baustellen zu steigern. Diese Innovationen müssen jedoch in die Ausbildungsprogramme integriert werden.
Viele Ausbildungswege in der Bauwirtschaft haben Schwierigkeiten, mit der rasanten technologischen Entwicklung Schritt zu halten. Digitale Kompetenzen sollten daher bereits in der Lehre und in höheren Bildungswegen eine zentrale Rolle spielen. Dies gilt nicht nur für Bauleiter und Ingenieure, sondern auch für Fachkräfte auf der Baustelle, die mit neuen Maschinen und digitalen Prozessen vertraut gemacht werden müssen.
3. Praxisnahe Ausbildung durch berufsbegleitende Modelle
Ein wichtiger Schritt, um die Ausbildung in der Bauwirtschaft attraktiver und praxisnäher zu gestalten, wäre die verstärkte Förderung von berufsbegleitenden Ausbildungen. Diese ermöglichen es den Teilnehmern, bereits frühzeitig in den Beruf einzusteigen und gleichzeitig ihre Ausbildung fortzusetzen. Durch die Kombination von praktischer Arbeitserfahrung und theoretischem Wissen können Fachkräfte schneller und gezielter auf die Anforderungen der Branche vorbereitet werden.
Eine besonders sinnvolle Maßnahme wäre es, berufsbegleitende Ausbildungen sowohl für HTL-Absolventen als auch für Fachhochschul- und Universitätsstudenten stärker zu fördern. Während diese bereits in Bauunternehmen tätig sind, könnten sie parallel an praxisnahen Weiterbildungen teilnehmen, die speziell auf ihre Arbeitsrealität abgestimmt sind. Dies würde nicht nur den Übergang von der Ausbildung in den Beruf erleichtern, sondern auch das theoretische Wissen direkt im Arbeitsalltag verankern.
Gleichzeitig profitieren die Unternehmen von jungen, motivierten Mitarbeitern, die nicht nur die aktuellen Trends der Branche kennen, sondern diese auch unmittelbar in die Praxis umsetzen können. Berufsbegleitende Modelle bieten also eine Win-Win-Situation für Arbeitgeber und Arbeitnehmer und könnten eine Lösung sein, um die Lücke zwischen Theorie und Praxis zu schließen.
4. Attraktivität der Bauwirtschaft steigern
Um den Nachwuchsmangel in der Bauwirtschaft zu bekämpfen, muss die Attraktivität der Branche gesteigert werden. Viele Jugendliche entscheiden sich heute gegen eine Ausbildung im Baugewerbe, da sie den Beruf als anstrengend und wenig zukunftssicher empfinden. Hier muss die Bauwirtschaft ansetzen: mit moderneren Arbeitsmodellen, verbesserten Arbeitsbedingungen und einer gezielten Kommunikation, die die Vorteile der Branche – wie gute Verdienstmöglichkeiten, sichere Arbeitsplätze und die Beteiligung an bedeutenden Projekten – in den Vordergrund stellt.
Es sollte auch mehr Wert darauf gelegt werden, das Image von Berufen in der Bauwirtschaft zu verbessern. Mit dem richtigen Marketing und Maßnahmen zur Nachwuchsförderung kann das Bauwesen als innovative und zukunftsorientierte Branche positioniert werden.
Lösungsansätze und Zukunftsstrategien
Um die Bauwirtschaft langfristig mit qualifizierten Arbeitskräften zu versorgen, müssen sowohl die Ausbildung als auch die Arbeitsbedingungen verbessert werden. Hier einige Lösungsansätze, die die Zukunft der Branche sichern könnten:
Stärkere Förderung der dualen Ausbildung und HTL-Absolventen: Die Lehre und der direkte Berufseinstieg nach der HTL müssen stärker gefördert werden, um frühzeitig qualifizierte Fachkräfte in die Branche zu integrieren.
Integration von Technologie in die Ausbildung: Schulen und Hochschulen sollten gezielt digitale Kompetenzen und den Umgang mit neuen Technologien wie BIM, 3D-Druck und Robotik in ihre Lehrpläne aufnehmen.
Berufsbegleitende Ausbildungen fördern: Durch berufsbegleitende Modelle kann der Berufseinstieg früher erfolgen, während gleichzeitig eine praxisnahe Ausbildung gewährleistet wird.
Fazit: Die Zukunft der Bauwirtschaft hängt von der Ausbildung ab
Die Ausbildung in der Bauwirtschaft in Österreich muss sich den Herausforderungen des Fachkräftemangels, der Digitalisierung und des demografischen Wandels stellen. Durch eine verstärkte Förderung praxisnaher Ausbildungen, die Integration moderner Technologien und eine gezielte Förderung der Attraktivität der Branche kann sichergestellt werden, dass auch in Zukunft ausreichend qualifizierte Fachkräfte zur Verfügung stehen.
Eine praxisnahe Ausbildung, wie sie in HTLs und in berufsbegleitenden Modellen angeboten wird, könnte der Schlüssel sein, um junge Menschen frühzeitig für die Bauwirtschaft zu gewinnen und sie optimal auf die Herausforderungen der modernen Arbeitswelt vorzubereiten.
Quellen:
Wirtschaftskammer Österreich (WKÖ): Lehrlingsstatistik Baugewerbe
Arbeitsmarktservice Österreich (AMS): Bericht zum Fachkräftemangel in der Bauwirtschaft





Kommentare